Als Evelyn Kühne nach der Diagnose Brustkrebs im Auto sitzt, denkt sie: „Wenn ich jetzt nach rechts lenke und an diesen Pfeiler fahre, ist alles vorbei.“ Später findet sie dank der Erkrankung ihre Berufung.
Ein Bericht von Evelyn Kühne, aufgeschrieben von Lukas Hoffmann
Vor der Krebsdiagnose hatte ich gerade jemanden Neuen kennengelernt und war umgezogen. Neues Haus, neue Freunde, neuer Wohnort. Gut, ich hatte einen langweiligen Bürojob in einem Bestattungsinstitut, aber ich war verliebt und glücklich.
Meiner früheren Frauenärztin hatte ich von der Unregelmäßigkeit in der Brust erzählt, die ich beim Duschen ertastet hatte. Sie schob es auf eine frühere Tumorerkrankung. Die Ärztin in meinem neuen Wohnort sah das nun anders: „Wir machen besser eine Mammografie“. Als dann die Schwester mit meinen Befunden den Gang entlang kam, konnte sie mich nicht ansehen, obwohl wir vorher ein lockeres Gespräch hatten. Sie schaute zu Boden, da wusste ich: Es ist etwas Ernstes.
„Wir können zu 99 Prozent sagen, dass der Tumor in Ihrer Brust bösartig ist“, sagte die Ärztin. Als ich aus dem Ärztehaus trat, schien die Sonne. Die Vögel haben gezwitschert und auf dem Spielplatz spielten Kinder. Das war eine unwirkliche Situation für mich. Ich habe gedacht: „Wie kann das sein. Ich habe doch gerade diese Krebsdiagnose gekriegt.“
Schwere Tage nach der Diagnose
Mein Freund hat am Morgen beim Abschied gesagt: „Du wirst sehen, es wird alles gut. Wir beide sind Glückskinder“. Ich habe ihn angerufen und ihm gesagt: „Torsten, das Glück hat uns verlassen.“
Im Auto auf der Heimfahrt habe ich geschrien und geheult. „Warum ich und warum jetzt?“ Ich hatte auch diesen Gedanken: „Wenn ich jetzt nach rechts lenke und an diesen Pfeiler fahre, ist alles vorbei.“ Das war das einzige Mal, dass ich während der gesamten Behandlung solche Gedanken hatte.
Es war sehr schwer, es meinen Eltern zu sagen, weil meine Großmutter an Darmkrebs gestorben ist. Meine Eltern konnten mir am Telefon keine Kraft geben. Stattdessen musste ich ihnen Mut zusprechend und habe gesagt: „Mutti, ich schaffe das.“ Meine Tochter war am Telefon unglaublich tapfer und hat mich aufgemuntert: „Mutt, du wirst wieder gesund!“
Am meisten Kraft hat mir Torsten gegeben, der tausend prozentig an meiner Seite stand. Er hat zu dem Arzt ganz am Anfang gesagt: „Wir machen alles, was Sie uns empfehlen, aber Sie müssen unbedingt diese Frau wieder gesund machen. Sie ist die Liebe meines Lebens.“ Und ich hatte Ziele, Träume und Wünsche. Ich wollte reisen, die Welt sehen, mein Kind heiraten sehen, irgendwann ein Enkelkind auf dem Schoß wiegen.
In der Fantasie auf Weltreise
Der Tumor war sehr groß bei mir. Vor der Operation hatte ich eine Chemotherapie, um ihn zu verkleinern. Nach der ersten Chemo-Sitzung ging es mir sehr gut, da habe ich gedacht: „Das ist ja alles Pillepalle.“ Die Übelkeit kam erst nach der zweiten Sitzung. Ich geriet in Panik, wenn der nächste Chemo-Termin anstand. Eine Psychologin im Krankenhaus riet mir, die Kraft meiner Gedanken zu nutzen. Das habe ich getan. Ich habe während der Sitzungen gedankliche Fantasiereisen zu den Orten der Welt gemacht, die ich noch besuchen möchte.
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Ich hatte nicht viel Zeit, um mich mit der Krankheit auseinanderzusetzen und zu überlegen, welche Klinik die passende ist. Vom berühmten blauen Ratgeber Brustkrebs habe ich die erste Seite gelesen und ihn weggelegt. Ich wollte keine komplizierten Informationen, sondern einfache Tipps. Meine Frauenärztin hat mir ein Klinikum in der Nähe empfohlen. Da bin ich hingegangen.
Im Krankenhaus war ein sehr verständnisvoller Arzt. Er hat sich viel Zeit genommen. Wenn wir Fragen dreimal gestellt haben, hat er sie geduldig beantwortet. Er hat mich auch operiert. Als ich aufgewacht bin, war er sofort an meinem Bett.
Erschöpfung kündigt sich an
Die Bestrahlung habe ich gut weggesteckt. Auch als sich die Haut am Ende ein bisschen rötete und ich Schmerzen bekam. Ich musste nach Dresden fahren – eine Stunde mit dem Taxi hin- und eine Stunde zurück. Auf der Rückfahrt bin ich oft eingeschlafen, aber Sorgen habe ich mir wegen meiner Müdigkeit keine gemacht.
Nach den drei Wochen in der Reha habe ich versucht, wieder beruflich Fuß zu fassen. Ich habe als Verkäuferin gearbeitet, aber bald festgestellt, dass mir die Kraft für diese Arbeit fehlte. Es ging einfach nicht. Es hat sich andauernd so angefühlt, als ob eine schwere Erkältung bevorsteht. Ich wollte nur auf der Couch liegen und meine Ruhe haben.
Warum war ich so erschöpft? Ich bin bei Ärzten und Gutachtern gewesen und habe manchmal sehr negative Sprüche zu hören bekommen. Ein Arzt hat zu mir gesagt, ich wäre eine Sozialschmarotzerin, wolle mir nur eine Rente erschleichen. „Schauen Sie doch in den Spiegel. Sie sehen gut aus. Das bilden Sie sich bloß ein. Sie sind einfach nur faul.“
Was stimmte nicht mit mir?
Manchmal bin ich in Tränen ausgebrochen. Ich konnte mir selber nicht erklären, was mit mir los ist. Als man mir mitgeteilt hat, dass ich Fatigue in einer chronischen Form habe, war das fast ein größerer Schock als die Krebsdiagnose. Ich würde krank sein – mein Leben lang.
Eine Psychoonkologin hat mir den Tipp gegeben: „Schreiben Sie doch einfach ‘mal auf, wie Sie sich fühlen.“ Ich habe an meinem Laptop gesessen und geheult, weil mir bewusst wurde, was ich in den letzten Monaten alles durchgemacht habe. Ich fand das Schreiben befreiend und habe dann einfach immer weitergeschrieben.
Das erste Buch, also die Geschichte meiner Krankheit, habe ich noch selbst herausgebracht, weil es schwierig war, einen Verlag zu finden. Ich habe Freunden gesagt: „Hier, ich habe ein Buch geschrieben, es heißt Viertel Kraft voraus. Wollt ihr das mal lesen.“ Manche haben gesagt: „Evi, das ist toll“. Andere haben gesagt: „Was um Gottes willen, du schreibst jetzt? Es gibt tausende Autoren und Millionen Bücher.“ Ich bin in Buchhandlungen gegangen und habe gedacht: „Großer Gott sind das viele Bücher, aber niemand schreibt wie ich.“
Ich verdiene heute mehr als damals
Nach dem ersten Buch habe ich acht weitere Bücher geschrieben. Einige sind vom Ullstein Verlag verlegt worden und in mehreren Auflagen erschienen. Ohne diese Erkrankung würde ich wahrscheinlich immer noch in dem Bestattungsinstitut arbeiten und im Büro sitzen. Ich wäre noch immer eine Suchende. Ich habe durch die Krebserkrankung meine Bestimmung gefunden und verdiene jetzt sogar mehr als damals.
Ich habe gelernt, mit der Fatigue zu leben und teile meinen Alltag in gute und weniger gute Tage ein. An guten Tagen stehe ich auf und arbeite aktiv an meinem neuen Buch. An weniger guten Tagen verbringe ich auch mal einen Tag auf der Couch und das ist vollkommen okay.
Es war ein langer und steiniger Weg, die Fatigue anzunehmen. Das bedeutet ja auch, dass man sein Umfeld vor den Kopf stößt, zum Beispiel ein Treffen mit Freunden absagt, weil man feststellt, es geht einfach nicht. Ich habe aber gemerkt, je mehr ich sage, okay, das ist jetzt so, desto mehr komme ich zur Ruhe und kann die Sache annehmen. Ich kann jetzt Nein sagen, das ist mir früher schwergefallen.
Durch der Krebserkrankung habe ich gelernt: es geht immer weiter. Und vielleicht kommt man durch eine schwere Erkrankung oder durch eine andere Krise zu neuen Punkten im Leben.
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