Weltweit leiden Millionen von Männern an Prostatakrebs. In Deutschland hat man in der Martini-Klinik Hamburg die größte Erfahrung mit dieser Krebserkrankung, denn landesweit werden hier die meisten Patienten mit Prostatakrebs behandelt. Gespräch mit PD. Dr. Tobias Maurer, der dort arbeitet.
Klinik Kompass: Wieso ist Prostatakrebs so verbreitet in Deutschland und der Welt? Was sind die Ursachen?
PD Dr. Tobias Maurer: Es ist ein multifaktorieller Prozess und man kennt die Ursachen nicht genau. Das Alter ist ein Hauptfaktor. Wenn Patienten in sehr jungen Jahren erkranken, kann die genetische Vorbelastung ein Grund sein.
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Klinik Kompass: Inwiefern spielt die Ernährung eine Rolle für die Erkrankung?
PD Dr. Tobias Maurer: Eine kohlenhydratreiche und fleischlastige Ernährung kann eine Erkrankung befördern, allerdings ist es schwierig, bei einem 60-jährigen Patienten mit Prostatakarzinom die Erkrankung allein auf die Ernährung zurückzuführen. Es ist auch sehr schwierig, die Ernährung über einen langen Zeitraum zu erfassen. Manchmal weiß man ja selbst nicht mehr, was man vor zwei Wochen gegessen hat. Aber es ist auch hier so: Eine gesunde Lebensweise ist protektiv.
Klinik Kompass: Operation oder Strahlentherapie – diese Frage stellt sich bei Patienten oft. Wenn ein Patient mit Gleason Score 7a, einem erhöhten PSA-Wert und einem lokal begrenzten Prostatakarzinom zu Ihnen kommt, welche Methode empfehlen Sie?
PD Dr. Tobias Maurer: Ganz wichtig ist die Gesamtsituation des Patienten. Wie alt ist er? Wie fit ist er? Welche Nebenerkrankungen bringt er mit? Zu Bedenken wäre hier: Ist die Aktive Überwachung eine Therapieoption? In einigen Protokollen werden auch bei Gleason Score 7a Patienten in die Aktive Überwachung eingeschlossen. Wenn der Patient allerdings 77 Jahre und herzkrank ist, dann muss man wahrscheinlich gar nichts machen. Auch die Entwicklung des PSA-Werts lässt Rückschlüsse auf die Schwere der Erkrankung zu. Dann kommt es darauf an, wie viele Biopsien befallen sind. Grundsätzlich würde ich sagen: Wenn ein Patient gut beieinander ist, also keine schwerwiegenden Nebenerkrankungen mitbringt und ein Gleason Score 7a-Prostatakarzinom in mehreren Biopsien nachgewiesen hat, dann sollte er eine aktive Therapie erhalten, sprich operiert oder bestrahlt werden.
Wenn man nun die Strahlentherapie und Operation vergleicht, ist es so: Nach einer Operation liegt auch ein histologisches Ergebnis vor. Man weiß, was Sache ist. Bei der Strahlentherapie weiß man es nicht. Auch muss der PSA-Wert nur nach der Operation im Gegensatz zur Strahlentherapie unter die Nachweisgrenze fallen. Patienten, die operiert wurden, sind deshalb oft beruhigter. Natürlich kann auch eine Operation Nebenwirkungen haben. Wenn man gut operiert, dann gibt es bei den organbegrenzten Tumoren mittlerweile in der Regel kein großes Inkontinenz-Risiko mehr. Wir haben inzwischen Kontinenzraten von weit über 90 Prozent nach drei Monaten. Bei der Potenz verhält es sich jedoch nicht ganz so. Da kann es schon sein, dass durch die Operation die entsprechenden Nerven geschädigt werden, aber dies ist bei der Strahlentherapie im längerfristigen Verlauf auch so.
Klinik Kompass: Was halten Sie von einer Behandlung mittels eines fokussierten Ultraschalls mit hoher Intensität (High Intensity Focused Ultrasound)? Wie bewerten Sie eine solche fokale Therapie?
PD Dr. Tobias Maurer: Mit modernen bildgebenden Verfahren und einer gezielten Fusionsbiopsie, die zunehmend durchgeführt wird, kann man den Tumor in der Prostata besser lokalisieren. Ich sehe diese Verfahren trotzdem kritisch. Anders als ein Nierentumor, der meist rund wächst und eine Art Pseudokapsel ausbildet, handelt es sich bei der Prostata um ein drüsiges Organ. Dabei sind diese Drüsen verzweigt wie ein Baum mit ganz kleinen Verästelungen. Die Krebszellen wachsen entlang der Drüsenschläuche und sind daher ebenso verzweigt. Die Befürworter einer fokalen Therapie sagen: Wir behandeln den signifikanten Tumor, den für den Patienten wichtigen Tumor. Aber auch in den kleinen Absiedelungen können signifikante, bösartige Komponenten vorliegen, die man nicht so gut lokalisieren kann. Wenn eine Fokaltherapie angewandt wird und man sich dann das Follow-up dazu anschaut, dann ist das Ergebnis in meinen Augen ernüchternd. Die fokalen Therapieformen kommen daher leitliniengemäß auch nur für Patienten in Frage, die sich zwischen aktiver Überwachung und aktiver Therapie bewegen. Ich bin aber grundsätzlich eher kritisch eingestellt gegenüber einer fokalen Therapie, weil es sich nach meinem Verständnis um kein in der Prostata abgegrenztes Tumorgeschehen handelt.
Klinik Kompass: Auch radioaktive Substanzen werden seit kurzem eingesetzt, um Patienten mit Prostatakrebs besser zu behandeln. Mit der PSMA-radioguided surgery können kleine metastatische Ansiedlungen aufgrund ihrer radioaktiven Strahlung erkannt werden. Wie bewerten Sie diese Methode?
PD Dr. Tobias Maurer: Zunächst ist hier etwas zu der Positronen-Emission-Tomografie zu sagen. Mithilfe winziger radioaktiv markierter Teilchen, die gegen das Prostataspezifische Membranantigen (PSMA) gerichtet sind, werden Tumorabsiedelungen sichtbar gemacht. Dadurch sehen wir Tumorherde sehr viel früher und genauer als mit der MRT oder der CT. Dies ermöglicht eine präzisere Behandlung. Zunächst konnten diese Tracer nur in der Bildgebung verwendet werden, also bei der Positronen-Emissions-Tomografie. Seit einigen Jahren können diese Tracer in modifizierter Form nun auch bei Operationen angewendet werden. Die Patienten bekommen vor der OP die radioaktive Substanz gespritzt und dann kann man bei der Operation mit einer Gammasonde ähnlich einem Geigerzähler die kleinen Tumorherde auffinden und sicher resezieren. Dabei muss man aber auch betonen, dass keine dieser Methoden zu hundert Prozent perfekt ist. Die einzelne Tumorzelle werden wir damit nicht entdecken können. Aber es ist auf jeden Fall besser als früher, als man nur anhand der Bilder operiert hat.
Klinik Kompass: Bei Prostata-OPs wird häufig das Da Vinci System eingesetzt. In der S3-Leitlinie zu Prostatakrebs steht, dass bislang keine Studie bewiesen hat, dass Operationen mit dem Da Vinci Roboter wirksamer sind als klassische offene OPs. Wieso wird dennoch mit dem Da Vinci Roboter gearbeitet?
PD Dr. Tobias Maurer: Es ist so, dass Patienten vielleicht etwas schneller entlassen werden können, kleinere Schnitte haben – es geht hier auch um Kosmetik. Der Blutverlust ist etwas geringer und der Blasenkatheter kann meist früher wieder entfernt werden. Letztendlich ist es auch für den Operateur entspannter, an einer Konsole zu sitzen, als stehend am Tisch zu operieren. Aber Sie haben Recht, es gibt erst eine prospektive Studie aus Australien zu diesem Thema. Sie hat gezeigt, dass es keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich des onkologischen Outcomes, hinsichtlich der Kontinenz- und der Potenzraten gibt. Auch wir an der Martini-Klinik sehen hier keinen entscheidenden Vorteil.
Klinik Kompass: Gab es ein persönliches Highlight in Ihrer Karriere als Urologe?
PD Dr. Tobias Maurer: Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir im Jahr 2012 den ersten Patienten mit einem PSMA-PET untersuchten. Das war, als ob jemand Licht angemacht hätte. Ich kriege immer noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. In diesem Moment haben wir verstanden, dass sich die Prostatakrebsmedizin gerade schlagartig geändert hat.
Herr Dr. Mauer, vielen Dank für das Gespräch!
PD Dr. Tobias Maurer ist Facharzt für Urologie und Leitender Arzt der Martini-Klinik des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Zuvor war er Leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Urologie der Technischen Universität München, Klinikum rechts der Isar.
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