In der Plastischen Chirurgie geht es nicht nur um Schönheits-Operationen, sondern auch um rekonstruktive Eingriffe nach Unfällen, Krebsoperationen oder angeborenen Fehlbildungen. Im Interview spricht Prof. Dr. Giunta, Vorsitzender der wichtigsten Fachgesellschaft der Plastischen Chirurgie in Deutschland, über Erfolgserlebnisse, den Einfluss von Instagram auf seinen Fachbereich und die Behandlung von Patienten aus dem Ausland.
Klinik Kompass: Herr Prof. Dr. Giunta, Sie arbeiten in der Uniklinik, viele Chirurgen für Ästhetische und Plastische Chirurgie sind aber an Privatkliniken angestellt oder führen Privatpraxen. Wie unterscheidet sich der Alltag eines Plastischen Chirurgen von demjenigen eines Chirurgen mit einer anderen Spezialisierung?
Prof. Dr. Giunta: Das ist nicht anders als in anderen Disziplinen, wie in der Orthopädie zum Beispiel, wo der im Großklinikum angestellte Orthopäde sich vielleicht mit Tumorerkrankungen und schweren Wirbelsäulen-OPs beschäftigt und der niedergelassene Orthopäde sich eher mit Spritzenbehandlung bei Arthrose oder Rückenschmerzen auseinandersetzt. So ist es auch bei uns in der Plastischen Chirurgie. Unsere Hauptaufgabe an einem Großklinikum wie dem Klinikum der Ludwig-Maximilians Universität München besteht in der Wiederherstellung nach Tumorerkrankungen, nach Verletzungen oder eben bei Fehlbildungen. Der niedergelassene Plastische Chirurg kann die einfachen ästhetischen Operationen, wie zum Beispiel Lidstraffung oder Fettabsaugung anbieten, die oft natürlich auch lukrativer sind als die wiederherstellenden Operationen.
Es gibt in der Plastischen Chirurgie nicht nur den Bereich der Ästhetischen Chirurgie. Sondern auch die Bereiche Rekonstruktive Chirurgie, Handchirurgie und Verbrennungschirurgie. Mit allen Bereichen beschäftigen Sie sich an der LMU. Welcher Eingriff hat Sie in jüngster Zeit mit einem besonderen Stolz erfüllt?
Prof. Dr. Giunta: Wir haben eine ganze Reihe von Operationen in verschiedenen Körperregionen, die meist eine sehr individuelle Lösung erfordern. Es sind zum einen Schwerverletzte, Tumorerkrankungen, Erkrankungen des alten Menschen wie chronische Wunden, Druckgeschwüre oder der diabetische Fuß, auf der anderen Seite auch angeborene Fehlbildungen, so dass die Bandbreite sehr weit ist.
Sie haben mich nach einem Einzelfall gefragt. Im Januar hatten wir hier einen neunjährigen Jungen, der vom Bus überfahren wurde und wegen des Verlustes der Weichteile über dem Kniegelenk und am Unterschenkel fast sein Bein verloren hätte. Wir konnten mit mikrochirurgischen Gewebetransplantationen sein Bein retten. Heute habe ich ein Bild bekommen, das zeigt, wie er wieder auf eigenen Beinen und ohne Gehhilfen läuft. Sein Bein musste letztlich dank der Plastischen Chirurgie nicht amputiert werden und er wird es noch viele Jahrzehnte seines Lebens nutzen können. So eine Operation bringt viel ärztliche Zufriedenheit mit sich.
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Die Leitlinie für Lipödem ist kaum zehn Seiten lang, verglichen etwa mit der Leitlinie für Prostatakrebs, in der aus viele Studien zitiert wird und die über hundert Seiten umfasst. Ist die Plastische Chirurgie ein forschungsarmes Fach?
Prof. Dr. Giunta: Nein, überhaupt nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist nur ein Fach, das in vielen Aspekten Grenzbereiche der Medizin betrachtet. Beim Lipödem ist es so, dass sich eine Behandlung in dem Grenzbereich zwischen medizinischer Leistung und nicht medizinischer Leistung bewegt. Und hier müssen von den Plastischen Chirurgen mit Kollegen und mit der Öffentlichkeit Kriterien erarbeitet werden, die festlegen, wo die Erkrankung anfängt und wo ein Übergewicht vorliegt. Diese Diskussionen sind bislang nicht geführt worden. Das Prostatakarzinom ist dagegen eine isolierte Entität, die schon seit Jahrzehnten bekannt ist. Das Lipödem wird erst seit kurzem als Erkrankung betrachtet, ist also auch für Mediziner ein völliges Neuland, so dass man hier den gesellschaftlichen Diskurs vorantreiben muss. Das hat nichts mit den Forschungsaktivitäten zu tun, die exzellent sind. Wir beschäftigen uns mit allen Regenerationsvorgängen und Gewebeverpflanzungen des Körpers.
Die Ästhetische Chirurgie profitiert wie keine andere medizinische Fachdisziplin von ihrer Bildhaftigkeit. Anders gesagt: Vorher-Nachher-Bilder kommen in den Sozialen Medien gut an. Erleben Sie in den letzten Jahren einen Patientenzustrom? Haben Sie bereits Instagram-Patientinnen oder Patienten kennengelernt?
Prof. Dr. Giunta: Vorher-Nachher-Bilder von operativen Eingriffen sind vom Heilmittelwerbegesetz her verboten. Das wird in der Realität in vielen Fällen leider nicht geahndet, aber es ist grundsätzlich verboten. Das betrifft natürlich auch die sozialen Medien. Ich habe heute gerade einen Brief an unseren Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geschrieben und auch an Prof. Dr. Frank U. Montgomery von der Bundesärztekammer, und gefordert, dass wir gemeinsam dem Wildwuchs in diesem Bereich Einhalt gebieten müssen. Da werden teilweise unethische Darstellungen veröffentlicht. Das verharmlost ästhetische Operationen und ist vor allem für Jugendliche ein Problem, die das zu oft sehr unkritisch sehen und sich oft nicht bewusst sind, welche möglichen Komplikationen Operationen zur Folge haben können. Sowohl kommerzielle Institute als auch einige Ärzte betreiben hier ganz praktisch Werbung, ohne sie als solche kenntlich zu machen. Hier muss man fordern, dass die Flut an Vorher-Nachher-Bildern massiv eingedämmt wird und Beiträge von kommerziellen Instituten und Ärzten für jeden ersichtlich als Werbung gekennzeichnet werden. Dies folgt in etwa der generellen Diskussion bei sogenannten „Influencern“ in den sozialen Medien.
Abgesehen davon, ob diese Bilder nun als werblich zu betrachten sind oder nicht, führen sie bei einer Verbreitung in den sozialen Medien zu mehr Patienten in Ihrem Haus?
Prof. Dr. Giunta: Natürlich wird mit den Bildern ein Bedarf erzeugt. Vor zwanzig, dreißig Jahren war die Ästhetische Chirurgie ein Tabu-Thema. Heutzutage ist es genau anders herum, auch weil solche Bilder öffentlich verbreitet werden. Es spricht nichts gegen Informationen in der Öffentlichkeit, aber sie muss sachlich und vernünftig gehalten werden und kann nicht darauf abzielen, dass man irgendwelche B- oder C-Promis, die auch einen persönlichen Nutzen davon haben, vor und nach ihrer Operation zeigt und dies als Spektakel verkauft.
Sprechen wir über Patienten aus dem Ausland. Egal, ob es nun die Handchirurgie ist, die Verbrennungschirurgie oder eben die Ästhetische Chirurgie, gibt es viele Patienten aus dem Ausland, die nach Deutschland kommen, um sich hier behandeln zu lassen?
Prof. Dr. Giunta: Absolut. Patienten kommen sowohl aus dem europäischen Ausland, aus den Ostblock-Ländern, auch aus der arabischen Welt. In meinem Fachbereich kommen Patienten nicht nur wegen ästhetischen Operationen, sondern vor allem auch wegen rekonstruktiven Eingriffen. Teilweise kommen Patienten aus den USA, weil Operationen bei uns insgesamt günstiger sind als dort. Der Zustrom von ausländischen Patienten ist verhältnismäßig hoch.
Univ-Prof. Dr. med. Riccardo Giunta leitet die Abteilung für Hand-, Plastische und Ästhetische Chirurgie am Klinikum der Universität München (LMU). Er ist außerdem Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktion und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC).