Immer mehr Kliniken bieten eine Post-COVID-Sprechstunde an, in die Menschen kommen, die lange an einer Coronavirus-Infektion leiden. Prof. Dr. Kathrin Reetz berichtet im Interview, warum sie als Neurologin die Sprechstunde an der RWTH Aachen leitet.
Frau Prof. Reetz, von 100 Menschen mit COVID-19-Symptomen haben etwa 80 einen milden Verlauf, 15 einen schweren und 5 sind so schwer erkrankt, dass sie intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Wie viele Menschen bekommen Post-COVID?
Prof. Dr. Kathrin Reetz: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich noch schwer zu sagen, da uns hier einfach noch die Langzeitdaten fehlen. Aktuell gibt es dazu sehr unterschiedliche Angaben mit allerdings auch unterschiedlichen Zeiträumen. Wir sprechen von einem Post-COVID-19-Syndrom, wenn die Symptome länger als zwölf Wochen nach einer Corona-Infektion anhalten. Als Long-COVID bezeichnen wir anhaltende Symptome von vier bis zwölf Wochen und das Post-COVID-Syndrom. Ersten Schätzungen zufolge können anhaltende Symptome nach einer Corona-Infektion bei etwa bis zu 10 Prozent der Betroffenen auftreten. Je länger der Zeitraum ist, desto weniger Betroffene gibt es. Daher wird derzeit für Post-COVID, also länger als zwölf Wochen, bei etwa ein bis drei Prozent ausgegangen.
Sie sind Neurologin, warum haben Sie gerade an Ihrer Klinik eine Post-COVID-Sprechstunde eingerichtet?
Prof. Dr. Kathrin Reetz: Wir haben die Post-COVID-Sprechstunde eingerichtet, weil der Bedarf dafür plötzlich da war – viele Patienten mit neurologischen Symptomen nach einer Corona-Infektion haben sich direkt an uns gewendet. Daher haben wir im Spätsommer/Herbst 2020 unsere neurologische Post-COVID-Sprechstunde an der UniKlinik RWTH Aachen eingerichtet. Das war genau richtig, da wir weiterhin viele Anfragen aus Aachen und Umgebung erhalten.
Es gibt auch in anderen Kliniken eine Post-COVID-Sprechstunde. Am UKE in Hamburg sind die Kollegen aus der Infektiologie zuständig, an der Uniklinik Minden die Gastroenterologie und an der Essener Ruhrlandklinik die Pneumologie. Weiß man noch so wenig über Post-COVID, dass man keine klare Zuständigkeit treffen kann?
Prof. Dr. Kathrin Reetz: Die Corona-Pandemie hat Auswirkungen auf alle Bereiche der Medizin. Primär handelt es sich um eine Infektion der oberen und unteren Atemwege, daher sind natürlich die Infektiologen und Internisten gefordert. Aber da wir auch ein vermehrtes Auftreten neurologischer Erkrankungen und Symptome beobachten, sind auch die Neurologen nötig. Es ist also eine gute gemeinsame, interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Fachdisziplinen wünschenswert, um die Patienten bestmöglich zu behandeln.
Über welche Symptome klagen Post-COVID-Patienten?
Prof. Dr. Kathrin Reetz: In einer kürzlich erschienen Übersichtsarbeit und Meta-Analyse wurden 50 verschiedene Langzeiteffekte in dem Zeitraum 14 -110 Tage nach einer akuten Corona-Infektion beschrieben. Die fünf häufigsten Symptome waren Fatigue, Kopfschmerzen, Aufmerksamkeitsstörungen, Haarverlust und Atemnot. Das deckt sich auch ganz gut mit den Beobachtungen aus unserer neurologischen Post-COVID-Sprechstunde.
Kann COVID-19 auch zu einer unheilbaren Krankheit werden? Kommen Menschen zu Ihnen, die in der ersten Welle erkrankt sind und bereits fast ein Jahr lang an der Erkrankung laborieren?
Prof. Dr. Kathrin Reetz: Um das wirklich beantworten zu können, benötigen wir wieder die noch fehlenden Langzeitdaten. Was wir aber jetzt schon sagen können, ist, dass sich die meisten doch sehr gut erholen und die neurologischen Langzeitsymptome im Verlauf deutlich besser werden bzw. auch ganz verschwinden. Die meisten Patienten, die wir sehen, haben sich in der sogenannten „zweiten Welle“ infiziert. Ganz vereinzelt sehen wir Patienten aus der „ersten Welle“ mit noch anhaltenden Symptomen.
Prof. Dr. Kathrin Reetz arbeitet als Oberärztin in der Klinik für Neurologie der UniKlinik RWTH Aachen. Sie ist für verschiedene Arbeiten im Bereich der Neurologie bereits ausgezeichnet worden, jüngst mit dem Erwin Niehaus-Preis der Alzheimer Forschung Initiative.