Fatigue
©Andrew Neel/CC0

Wenn eine Ermüdung oder Erschöpfung körperlich, emotional und auch mental schwer ausgeprägt ist, sprechen Ärzte von der Krankheit Fatigue. Betroffene können ihre Müdigkeit nicht durch Schlaf oder anderen Erholungsmethoden kompensieren. Die Ursachen von Fatigue sind nicht vollständig geklärt, sie tritt aber als Begleiterkrankung oder Folge von einigen chronischen Krankheiten und Tumorerkrankungen auf. Man spricht dann von einer krebs- oder tumorbedingten Fatigue.

Ein Beitrag von Enfal-Nur Celik 

Fatigue zu diagnostizieren ist nicht einfach, denn die bekannten medizinischen Verfahren lassen sich nicht anwenden. Ist eine chronische Erkrankung als Ursache im Voraus bekannt, kann Fatigue als mögliche Begleiterkrankung schnell erkannt werden. In einigen Fällen aber, insbesondere bei Tumorpatienten, treten Symptome der Fatigue schon Monate vor der Diagnose des Tumors auf.

Die US-amerikanische Fatigue Coalition erstellte eine Liste mit elf Symptomen, von denen mindesten sechs vorliegen müssen, um Fatigue zu diagnostizieren. Hierzu zählen körperliche Symptome wie Müdigkeit, eine generelle Schwäche oder ein gesteigertes Ruhebedürfnis. Aber auch mentale Einschränkungen zählen zu den Kriterien, wie eine gestörte Konzentration oder eine verminderte Leistung des Kurzzeitgedächtnisses. Mit diesen gehen auch psychologische Symptome einher, wie eine mangelnde Motivation, Frustrationen wegen der verringerten Leistungsfähigkeit oder Schwierigkeiten bei der Alltagsbewältigung. Die Antriebsschwäche wird als typisches Merkmal der Fatigue genannt.

Diese elf Symptome haben Fatigue-Patienten

Der Krebs als Ursache für Fatigue

Bei insgesamt 80 Prozent der Patienten mit einer Krebserkrankung tritt Fatigue auf. Die Fatigue ist dann akut, da sie in dem Fall entweder vom Tumor oder von dessen Therapie verursacht wird. Dabei weiß man mittlerweile, dass gewisse Tumorarten wie Lymphome ein höheres Fatigue-Risiko haben als zum Beispiel Hodenkrebs.

Der Tumor verändert die Biochemie des Körpers. Faktoren wie Signalmoleküle oder Hormone, die das Wachstum des Tumors fördern, beeinträchtigen dabei den Allgemeinzustand des Patienten und verlangsamen andere wichtige Stoffwechselprozesse. Um diese wie gewohnt aufrechtzuerhalten, muss der Körper mehr arbeiten. Die zusätzlich aufgewendete Kraft wird als Erschöpfung wahrgenommen. Die Müdigkeit kann selbst bei längeren Schlafenszeiten nicht kompensiert werden und wird so zum Erschöpfungssyndrom.

Aber nicht nur der Tumor selbst, auch die Krebstherapie kann eine Fatigue auslösen. Wenn man eine Strahlen- oder Chemotherapie beginnt, wird der Tumor nicht isoliert einer Bestrahlung oder Chemotherapie unterzogen, sondern auch die umliegenden Gewebe und im Grunde der ganze Körper. Die zusätzliche Belastung des Körpers verursacht die Fatigue, die dann eine Nebenwirkung der Therapie darstellt.

Besonders betroffen von der Tumorerkrankung ist die Blutbildung: Die roten Blutkörperchen, die den Körper mit Sauerstoff versorgen, werden als Erythrozyten bezeichnet. Nach ungefähr 120 Tagen altert ein Erythrozyt und ist dann nicht mehr funktionstüchtig. Er wird in der Milz aussortiert und abgebaut.

Währenddessen werden schon im Knochenmark die neuen Blutzellen gebildet. Bis diese reif sind und im Körper Sauerstoff transportieren können, dauert es fast zehn Tage. Dieser Prozess wird hauptsächlich von einem Botenstoff namens Erythropoetin gesteuert. Während der Krebstherapie wird weniger Erythropoetin hergestellt, dadurch werden auch weniger Erythrozyten produziert.

Als Folge entsteht eine Blutarmut (Anämie), es gibt also zu wenige Erythrozyten, um die optimale Versorgung der Organe mit Sauerstoff zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass nicht nur die Bildung der roten Blutkörperchen beeinträchtigt ist, sondern auch die der weißen Blutkörperchen, der Leukozyten. Diese sind für die Abwehrfunktionen des Körpers verantwortlich. Der Körper hat also langfristig weniger Sauerstoff zur Verfügung und auch die Abwehrreaktionen laufen langsamer ab als gewohnt.

Die im Allgemeinen verminderte Sauerstoffversorgung im Körper führt dazu, dass schon bei geringen körperlichen Tätigkeiten die wenigen Erythrozyten nicht in der Lage sind, wie gewohnt den erhöhten Sauerstoffbedarf im Herzen oder in den Muskeln zu decken. Der Aufwand des Kreislaufs, um die körperliche Aktivität zu kompensieren, ist demnach größer. So wird der Körper schneller müde.

Auch wenn die Fatigue über längere Monate anhält, gilt sie trotzdem als akut, weil sie von der Grunderkrankung, dem Tumor,  verursacht wird.

Nach dem Krebs: Langzeitfatigue

Selbst wenn die Tumortherapie abgeschlossen ist, geben 40 Prozent der Patienten an, weiterhin jahrelang an der Fatigue zu leiden. Diese ist aber nicht mehr die Folge der Grunderkrankung, weshalb bei dieser Langzeitfatigue nach anderen Ursachen gesucht wird. Oder sie tritt das erste Mal nach der Erkrankung auf. Das Gefühl der Überforderung nach der Krankheit kann Auslöser der chronischen Fatigue sein.

Fatigue bei anderen Erkrankungen

Andere Erkrankungen, die Fatigue verursachen können, sind hauptsächlich chronische Erkrankungen, wie zum Beispiel die Autoimmunerkrankung Lupus erythematodes, bei der sich Gelenke, das Nervensystem und Organe entzünden. Auch Patienten weiterer Autoimmunerkrankungen wie Rheumatoide Arthritis, Morbus Bechterew oder Multiple Sklerose leiden zu 50 bis 80 Prozent an Fatigue.
Außerdem zählt Fatigue nach einer Infektion mit dem Covid-19-Virus zu den häufigsten Spätfolgen. Der Umfang und die Intensität im Zusammenhang mit Covid-19 wird aktuell noch klinisch erforscht.

Wie kann Fatigue therapiert werden?

Wenn Sie den Verdacht haben, an Fatigue zu leiden, sollten Sie sich an Ihren behandelnden Arzt wenden. Er ist auch Ihr Ansprechpartner für die tumorbedingte Fatigue und kann Sie über bestehende Therapiemöglichkeiten informieren.

Psychotherapie

Bei der Diagnose und der Therapie des Tumors hilft der Psychotherapeut dem Patienten und dessen Familie, praktische Antworten auf Fragen zu der Bewältigung des Lebensalltags zu finden. Ist die Behandlung abgeschlossen, unterstützt die Psychotherapie bei der Rehabilitation und Nachsorge der Behandlung. Körperliche, neurologische und psychologische Übungen sollen Gedächtnis und Motivation fördern. So dient zum Beispiel das Schreiben mit der nicht-dominanten Hand oder das Erkennen von geometrischen Figuren in abstrakten Zeichnungen der Bildung von neuen Nervenverknüpfungen im Gehirn.

Bewegung als Therapie

Wie bei vielen Krankheiten hilft auch bei Fatigue Bewegung. Dabei sollte der Patient darauf achten, ob die Erschöpfung am Tag nach der Bewegung zugenommen hat oder nicht. Ist diese nicht der Fall, kann die therapeutische Bewegung am folgenden Tag um eine Stufe erhöht werden. So gelingt es dem Patienten, den für ihn optimalen Bewegungsumfang zu ermitteln. Die neu gewonnene Gewissheit über die gegenwärtige Kraft des eigenen Körpers stärkt auch die Motivation und die Freude am Leben.

Medikamente

Wenn ein Arzt Medikamente verschreibt, muss die Fatigue eindeutig diagnostiziert worden sein. Sind die Ursachen, die das Ausmaß der Fatigue beeinflussen, bekannt, so helfen bestimmte Medikamente. Ist beispielsweise eine ausgeprägte Anämie festgestellt worden, kann wie bei anderen Anämie-Patienten eine zusätzliche Gabe von Erythropoetin den Symptomenkomplex verbessern. Erythropoetin beschleunigt die Produktion der roten Blutkörperchen, die den Organismus mit Sauerstoff versorgen.

Oder wenn eine Schilddrüsenunterfunktion vorliegt, die oft bei Tumortherapien auftritt, kann auch hier durch entsprechende Medikamente die Funktion stimuliert oder fehlende Hormone ersetzt werden. Auch der Mangel an Vitaminen kann durch die Gabe von Spritzen oder Tabletten ausgeglichen werden.

Seit 2006 erforscht die Deutsche Fatigue Gesellschaft die Wirkung des Amphetamins Methylphenidat. Noch wird dieses in klinischen Studien untersucht.

Rehabilitation

Mittlerweile gibt es erste Rehabilitationsprogramme, die eine Wiedereingliederung von Fatigue-Betroffenen zum Ziel haben. Ob die Rehabilitation langfristig erfolgreich ist und das Therapieversprechen einhalten kann, ist noch nicht erwiesen.

Insbesondere bei Langzeit-Fatigue ist es wichtig, neben Rehabilitationsprogrammen auch psychotherapeutische Behandlungen zur Krankheitsbewältigung wahrzunehmen. Patienten berichten schon von großen Entlastungen, wenn sie wissen, dass das, was sie spüren und fühlen, medizinisch als Krankheit gilt.

Der Austausch in Selbsthilfegruppen und die Möglichkeit sich frei aussprechen zu können, zeigen bei den meisten eine Besserung des Syndroms. In Kombination mit Bewegungstherapien und kognitiven Übungen soll der Patient zusätzlich aktiviert werden.

Essenziell ist hierbei, dass immer auf das individuelle Ausmaß der Krankheit eingegangen wird. Wird der Körper überlastet, so fühlt er die Erschöpfung noch deutlicher. Aber wenn der Körper nicht ausreichend gefordert und stattdessen eher geschont wird, baut er weiter an Kondition ab, sodass die Fatigue wieder gestärkt wird. Es gilt, seine körperlichen Grenzen zu erkennen und diese zu akzeptieren.

Leben mit Fatigue

Familie und Angehörige

Für Menschen, die an Fatigue leiden, ist in erster Linie die richtige Diagnose wichtig. Denn mit einer medizinischen Diagnose weiß der Patient und seine Angehörigen, dass es sich hierbei um eine chronische Krankheit handelt, die das Leben dauerhaft stark verändert. Der Alltag muss den neuen, verringerten Ressourcen angepasst werden. Umso wichtiger ist es auch, die mentalen und psychischen Aspekte der Fatigue zu erklären und darüber zu informieren. Denn nur so können mit der Familie Lösungsansätze besprochen und diskutiert werden.

Beruf

Mit einer Krebsdiagnose ändert sich das Leben schlagartig. Die Behandlungspläne Chemotherapie oder Strahlentherapie häufig in Kombination mit Operationen sind für den menschlichen Körper eine enorme Belastung. Ein Tumor ist nicht immer gleichbedeutend mit Arbeitsunfähigkeit, doch in den meisten Fällen ist damit zu rechnen, dass der Patient dem gewohnten Arbeitsalltag nicht mehr nachkommen kann und während der Behandlung arbeitsunfähig ist.

Wenn der Krebs als medizinisch nicht schwerwiegend oder sogar als geheilt gilt, besteht die Fatigue in 40 Prozent der Fälle weiterhin. Sie ist dann nicht mehr akut, sondern chronisch. Auch wenn der Tumor nicht mehr die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, sind die Auswirkungen der Fatigue so stark ausgeprägt, dass eine Wiedereingliederung von Heute auf Morgen in die gewohnte berufliche Tätigkeit nicht möglich ist.

Fällt der Krebs einmal als Grunddiagnose weg, ist die Erstellung einer Arbeitsunfähigkeit nicht mehr problemlos möglich. Denn für die Beurteilung der Fatigue bestehen bisher noch keine einheitlichen anerkannten Maßstäbe, an denen sich Ärzte orientieren können, um eine Erwerbsunfähigkeit zu rechtfertigen. Eben diese Beurteilungskriterien sind aber unerlässlich, um eine medizinisch legitime Arbeitsunfähigkeit auszustellen oder eine Frühberentung zu beantragen.

Hier leiden die Patienten unter den noch fehlenden wissenschaftlichen Erklärungen dieses komplexen Ermüdungssyndroms. Deshalb wird jeder Antrag auf Frühberentung noch individuell entschieden und bedarf bei Gericht eines zusätzlichen Gutachtens durch einen Experten der Deutschen Fatigue Gesellschaft.

Hier schildert Evelyn Kühne, wie sie nach einer Brustkrebs-Therapie mit Fatigue lebt und arbeitet.

Quellen 

18 Fragen und Antworten zu tumorbedingter Fatigue. Gesellschaft zur Erforschung tumorbedingter und anderer Erschöpfungszustände. https://deutsche-fatigue-gesellschaft.de/wp-content/uploads/2018/06/fatigue_18-fragen.pdf . Zuletzt abgerufen am: 29.06.2021 

Fatique bei Krebs. Stiftung Deutsche Krebshilfe. https://www.krebshilfe.de/infomaterial/Blaue_Ratgeber/Fatigue-Chronische-Muedigkeit-bei-Krebs_BlaueRatgeber_DeutscheKrebshilfe.pdf . Zuletzt abgerufen am: 29.06.2021

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