Alleine im Jahr 2020 wurde bei über 4.000 Personen in Deutschland eine Skoliose diagnostiziert. Besonders betroffen sind dabei Kinder und junge Erwachsene. Doch wie entsteht Skoliose und wie macht sie sich bemerkbar? Welche Therapiemöglichkeiten gibt es? Diese Fragen werden im nachfolgenden Artikel beantwortet.
Ein Beitrag von Lukas Hoffmann
Als Skoliose bezeichnen Mediziner eine Wachstumsstörung, die im Bereich der Wirbelsäule und des Rückens auftritt. Diese Störung führt dazu, dass die Wirbelsäule nicht gerade wächst, sondern sich zur Seite verbiegt oder sich die Wirbel auch gegeneinander verdrehen. Die normal anatomische Doppel-S-Form der Wirbelsäule ist deshalb in allen drei Dimensionen verändert.
Eine Skoliose kann theoretisch in jedem Alter entstehen, doch der Wachstumsschub von heranwachsenden Kindern ist meist der Auslöser. Wenn die betroffenen Kinder bis zu drei Jahren alt sind, spricht man von einer infantilen Skoliose. Treten die Verkrümmungen zwischen dem vierten und dem zehnten Lebensjahr auf, bezeichnen Ärzte diese als juvenile Skoliose. Bei Patienten ab dem elften Lebensjahr bezeichnen Ärzte die auftretenden Verformungen als Adoleszentenskoliose. Es ist auffällig, dass Mädchen in dieser Altersgruppe von Skoliose vier bis fünfmal häufiger betroffen sind als Jungen.
Bei den skoliotische Veränderungen im Erwachsenenalter handelt es sich um degenerative Vorgänge, also um Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule durch Fehlbelastung oder einem zunehmendem Alter.
Im Gegensatz zu den restlichen Wirbelsäulenerkrankungen kommt Skoliose nicht von einer schlechten Haltung. Es gibt demnach auch keine Möglichkeit, die Krankheit vorzubeugen.
In 80 bis 90 Prozent der Fälle ist die genaue Ursache von Skoliosen unbekannt. Man spricht dann von einer idiopathischen Skoliose. Es wird aber diskutiert, ob ein unterschiedlich schnelles Wachstum der vorderen Wirbelkörper, der hinteren Wirbelbögen und Facettengelenke zu den Deformitäten führen kann. Forscher vermuten, familiäre Veranlagungen könnten die Ursache hierfür sein. Bisher gibt es dazu aber keine eindeutigen wissenschaftlichen Ergebnisse.
In den übrigen Fällen kann eine sogenannten Kongenitale Skoliose vorliegen. Dabei handelt es sich um einen angeborenen Entwicklungsfehler, der im weiteren Verlauf zu der Verkrümmung der Wirbelsäule führt. Sie ist aber ausgesprochen selten und kann nur operativ behandelt werden.
Darüber hinaus gibt es die sogenannte Neuromuskuläre Skoliose. Dieser Begriff umfasst die Deformitäten der Wirbelsäule, die durch Erkrankungen des zentralen Nervensystems oder der Muskulatur hervorgerufen werden. Auch hier hilft nur eine operative Behandlungsmethode weiter, damit Stehen, Gehen und aufrechtes Sitzen möglich bleiben.
Welche Formen von Skoliose gibt es?
Es gibt zwei Formen von Skoliose, die oftmals auch gemeinsam auftreten.
Bei der sogenannten Kyphoskoliose handelt es sich um eine nach hinten konvex ausgerichtete Krümmung der Wirbelsäule. Sie wird von außen als ein Buckel erkennbar. Auch der Rippenbogen ist deformiert und kann bei schweren Fällen den Brust- und Bauchraum verkleinern. So ist weniger Platz für die inneren Organe vorhanden, die in ihrer Funktion beeinträchtigt sind. Besonders stark betroffen sind die Atmungsorgane. Der Rippenbuckel ist wie eine Atembehinderung, denn die Lungen können ihre Volumen nicht ausdehnen.
In den meisten Fällen wird die Kyphosierung von einer sogenannten Torsionsskoliose begleitet. Dabei handelt es sich um eine Verdrehung der Wirbelkörper untereinander, sodass die Wirbelsäule in dem betroffenen Bereich verformt ist.
Wie schwer die Wirbelsäulendeformität den Körper beeinträchtigt, stellen die Ärzte bei der Diagnosestellung fest. Abhängig von der Verkrümmung können sie dann entsprechende Behandlungen verschreiben.
Wie wird Skoliose diagnostiziert?
In den meisten Fällen diagnostizieren Kinderärzte die Skoliose im Rahmen der vorgeschriebenen Routineuntersuchungen. Das bedeutet, dass die Kinder und Jugendlichen nicht an schmerzhaften Symptomen leiden. Die Deformitäten, die auf eine Skoliose hindeuten können, fallen den Ärzten bei der körperlichen Untersuchung auf: Einen Höhen- oder Niveauunterschied der Schultern, der Schulterblätter, der Hüfte oder der Brust können auf eine Skoliose hindeuten.
Die Ärzte bemerken dann „schiefe“ Schultern, ein vorstehendes Schulterblatt oder eine sogenannte Taillenasymmetrie. Sie macht sich durch eine Hautfalte auf der einen Seite bemerkbar. Auch können ein gekipptes Becken oder ein Beckenschiefstand, eine unterschiedliche Beinlängen, ein asymmetrischer aussehender Brustkorb oder ein Rippenbuckel den Verdacht auf Skoliose erhärten.
Ein besonders wichtiger Test im Rahmen dieser körperlichen Untersuchung ist der Adams-Vorbeuge-Test. Dabei fordern die Ärzte ihre Patienten auf, die Füße nebeneinander zu stellen, die Knie durchzustrecken und den Oberkörper langsam nach vorn zu beugen. Wenn Ärzte erkennen, dass dabei die rechte oder linke Seite des Brustkorbs höher steht, ist eine Skoliose eine mögliche Diagnose. In diesem Fall empfehlen sie, einen Orthopäden aufzusuchen. Dieser lässt ein Röntgenbild der Wirbelsäule anfertigen.
Das Röntgenbild wird dann im Stehen angefertigt und nicht im Liegen. Die Aufnahmen werden von hinten und von der Seite gemacht. Anhand der Röntgenbilder können die Ärzte geometrisch ausmessen, wie stark ausgeprägt die vorliegende Verkrümmung ist. Diese Verkrümmung bezeichnen Mediziner als Cobb-Winkel.
Da die Wirbelsäule geringgradigen Verkrümmungen durchaus standhalten kann, gilt dieser Winkel als Maß für die Therapie, die sie den Betroffenen empfehlen.
Bei mehr als drei Viertel der Patienten (75 Prozent), messen Ärzte einen Cobb-Winkel zwischen 10 und 20 Grad. Sie sprechen dann von einer leichten Skoliose. Sie wird regelmäßig von den Ärzten im Rahmen von Kontrolluntersuchungen überwacht und bei Bedarf mit Physiotherapie behandelt.
Bei weiteren 15 Prozent liegt eine mittelstarke Skoliose mit einem Cobb-Winkel zwischen 20 und 30 Grad vor. Neben ärztlicher Kontrolle und Physiotherapie kommt hier eine Orthesenbehandlung infrage (siehe unten).
In nur fünf Prozent der Fälle liegt der Cobb-Winkel zwischen 30 und 40 Grad, sodass Ärzte von einer starken Skoliose sprechen und bei weiteren fünf Prozent liegt er über 40 Grad. Diese Betroffenen leiden dann unter einer sehr starken Skoliose. Ab 40 bis 50 Grad sprechen Ärzte mit Patienten über operative Maßnahmen. Allerdings sollte das Skelettwachstum abgeschlossen sein.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Bei 90 Prozent der Betroffenen liegt der Cobb-Winkel unter 30 Grad. Damit lassen sich die Wirbelsäulendeformitäten konservativ mit nicht-operativen Therapiemöglichkeiten gut behandeln. Eine Operation ist nur in seltenen Fällen erforderlich.
Physiotherapie
Einer Hauptpfeiler in der Behandlung von Skoliose ist die Physiotherapie. Diese wird angepasst an die Schwere und die Ausprägung der vorliegenden Skoliose. Bei Kindern und heranwachsenden Erwachsenen mit idiopathischer Skoliose kommt vorwiegend das krankengymnastische Konzept nach Schroth infrage. Hier stehen dreidimensionale Übungen im Vordergrund, die die Wirbelsäule gegen die Kyphose aufrichten und gegen die Torsion entdrehen soll. Das ist eines von vielen Konzepten, das den Physiotherapeuten zur Auswahl steht. Welches Programm genau geeignet ist, hängt vom Alter des Patienten ab und vom Cobb-Winkel.
Orthesenbehandlung (Korsett)
Bei den Orthesen handelt es sich um orthopädische Hilfsmittel, das die Orthopädietechniker individuell an die Bedürfnisse der Patienten anpassen. Bei ausgeprägten Arten von Skoliose können Korsetts entgegenwirken. In so ein Korsett werden sogenannte Pelotten eingearbeitet. Hierbei handelt es sich um Druckzonen, die den Krümmungen und Verdrehungen entgegendrücken. Auf der anderen Seite liegen Freiräume, zu denen sich Wirbelsäule, Schultern und Brustkorb hinbewegen können.
So wird der Rücken aufgerichtet und entdreht. Anfangs ist das Tragen eines Korsetts sehr unbequem. Insbesondere die langen Tragezeiten von 18 bis 23 Stunden täglich fallen den Jugendlichen schwer. In Kombination mit Krafttraining für Bauch und Rücken hat sich die Orthesenbehandlung aber bewährt. Ein Korsett wirkt nicht nur der Zunahme der Krümmung entgegen, sondern bessert sie sogar.
Operation
In seltenen Fällen ist die Skoliose so stark ausgeprägt, dass die Lebensqualität eingeschränkt ist. Der Brustkorb ist dann dermaßen verformt, dass Lunge- und Herzfunktionen stark beeinträchtigt sind. Die Lungen können sich beim Atmen nicht ausreichend ausdehnen. So gelangt pro Atemzug weniger Sauerstoff in den Blutkreislauf. Dadurch sinkt die Sauerstoffsättigung im Körper. Die niedrige Sauerstoffsättigung ist eine erhebliche Herz-Kreislauf-Belastung. Das Herz muss häufiger und stärker pumpen und ist diesen Belastungen langfristig nicht gewachsen. Eine Messung der Sauerstoffsättigung im Blut und Lungenfunktionstests geben Aufschluss, ob eine solche Beeinträchtigung vorliegt.
Damit eine Operation in Erwägung gezogen werden kann, muss der Patient das zwölfte Lebensjahr erreicht haben. Denn die Wirbelsäule durchläuft davor noch eine starke Wachstumsphase, die das OP-Ergebnis stark beeinträchtigen könnte.
Mit der Operation möchten die Ärzte erreichen, dass die Wirbelsäule aufgerichtet und entdreht wird. Das ist auch das Ziel der konservativen Behandlungsmethoden. Der Unterschied ist hier, dass Chirurgen die Wirbelsäule versteifen, also fixieren. So kann sie sich nicht wieder zurückdrehen. Die Ärzte stabilisieren die verkrümmten Wirbelsäulenabschnitte mit je einem Titanstab auf jeder Seite. Die Stäbe werden mit Schrauben in den Wirbelkörpern verankert. Zusätzlich wenden die Orthopäden Knochenmaterial aus beispielsweise den Rippen an, vermischen dieses mit Knochenersatzmaterialien. Diese Implantate füllen den Raum zwischen den Wirbeln aus. So werden die Wirbelkörper gegeneinander fixiert, einer Torsionsskoliose wird entgegengewirkt.
Die operative Behandlung von Skoliose kann nur in Spezialkliniken durchgeführt werden. Für die dortigen Orthopäden ist die Operation ein Routineeingriff. Die Ärzte informieren die Patienten und ihre Angehörigen über den genauen Behandlungs- und Rehabilitationsplan. Sie klären auch über mögliche Komplikationen auf.
Zu den schweren, aber glücklicherweise seltenen Komplikationen zählt die Querschnittslähmung durch Beschädigung des Rückenmarks während der Operation. Das Risiko ist allerdings sehr gering, weil das Rückenmark selbst fortlaufend über das Neuro-Monitoring überwacht wird.
Die Patienten können circa zwei Wochen nach der Operation aus dem Krankenhaus entlassen werden. Zur Schule können sie nach vier bis sechs Wochen wieder gehen. Sportliche Aktivitäten sind für ein Jahr untersagt. Aber Bewegung im Rahmen des Rehabilitationsprogramms und vorsichtiges Schwimmen sind nach Rücksprache mit den Ärzten erlaubt.
Rehabilitation
Ein Aufenthalt in einem stationärem Rehabilitationszentrum sollte auf die Operation folgen. Sie kann aber auch bei Skolioseformen hilfreich sein, die keine Operation erfordern. Es gibt Rehabilitationseinrichtungen, die Physiotherapie und Schulungen im Umgang mit dem Korsett anbieten. Meist dauert das Programm drei bis sechs Wochen.
Da vor allem Jugendliche von Skoliose betroffen sind, gibt es auch ein psychisches Betreuungsangebot in den Zentren. Ziel ist es, dass Betroffene eine positive Selbstwahrnehmung trotz Skoliose erreichen. Denn in den Jahren sind die Akzeptanz und Wahrnehmung durch Gleichaltrige besonders wichtig. Wenn die Jugendlichen Bedenken und Sorgen äußern, so sollten diese von den Eltern ernst genommen werden.
Leben mit Skoliose
Eine Skoliose ist nicht heilbar, das bedeutet, dass man sie sein ganzes Leben lang hat. Der Cobb-Winkel kann sogar im Laufe der Zeit zunehmen. Man spricht in dem Fall von einer fortschreitenden, also progredienten Skoliose. Auch nach dem Abschluss der Wachstumsphase kann die Krümmung zunehmen. Aus diesem Grund sollten Betroffene die Krümmung ärztlich überwachen lassen.
Skoliose bedeutet aber nicht, dass man sich schonen sollte und auf Bewegung verzichten muss. Vielmehr unterstützen Bewegung und Krafttraining der Rücken- und Bauchmuskulatur die Wirbelsäule. Auch nach einer Skoliosen-OP kann weiterhin Sport, auch Leistungssport, betrieben werden. Allerdings sollte man sich vor der Ausübung von Kontaktsportarten wie Handball, bei denen die Stoßbelastung groß ist, mit seinen Ärzten absprechen.
Auch eine Schwangerschaft nach einer Skoliose-OP gilt als unbedenklich und bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Krümmung der Wirbelsäule zunimmt. Mit entsprechender orthopädischer Überwachung können die Ärzte weiterhin mögliche Veränderungen der Wirbelsäule beobachten. Idiopathische Skoliose ist vererbbar. Insbesondere wenn mehrere Familienmitglieder an Skoliose leiden, ist das Erkrankungsrisiko des Nachwuchses größer.
Trotz der Skoliosendiagnose, einer Kosettbehandlung und möglicherweise einer Operation können Betroffene ihr Leben, ihre Freundschaften, Hobbys und Freizeitgestaltung so führen, wie sie es zuvor taten. Skoliose ist heute eine gut behandelbare Krankheit. Selbst in den schwierigen Anfangsphasen der Orthesenbehandlung oder der postoperativen Zeit, sollten sich Jugendliche und Angehörige vor Augen führen, dass sie nach einiger Zeit in den meisten Fällen ohne Einschränkungen ein normales Leben führen können.
Quellen
Apothekenumschau. Skoliose. 2015. https://www.apotheken-umschau.de/krankheiten-symptome/gelenks-und-knochenerkrankungen/skoliose-734251.html. Zuletzt abgerufen am 12.07.2022.
Diefenbach, Edeltraud. Skoliose. Theorie und Therapie. 2016.
Gesundheitsinformation.de. Skoliose im Jugendalter. https://www.gesundheitsinformation.de/skoliose-im-jugendalter.html. Zuletzt abgerufen am 12.07.2022.
MIR FEHLEN reha-eMPFEHLUNGEN
Hallo Frau Kiel,
wenn Sie nach Reha-Einrichtungen suchen, dann schauen Sie mal hier: https://www.klinikkompass.com/rehakliniken-fuer-orthopaedie-in-deutschland/
Wenn es Ihnen generell um Informationen rund um das Leben mit der Erkrankung geht, hilft Ihnen vielleicht der Bundesverband Skoliose weiter: https://www.bundesverband-skoliose.de
LG, Lukas Hoffmann