Prof. Dr. med. Peter Young beschäftigt sich schon seit vielen Jahre mit dem gesunden Schlaf. Im Interview sagt er, warum man nicht im Bett liegen bleiben sollte, wenn man nicht einschlafen kann und dass die meisten Schlafpatienten kein Labor, sondern eine intensive Beratung benötigen.
Klinik Kompass: Herr Prof. Young, ein Mediziner aus Wuhan hat analysiert, dass während der Quarantäne von 21.44 Hotline-Anrufern 19,9 Prozent über Schlafprobleme klagen. Ist das ein erhöhter Wert?
Prof. Dr. Peter Young: Ja, das ist ein erhöhter Wert. Die Belastungen, die Menschen in der Pandemie-Zeit haben, können zu Schlafstörungen führen oder bestehende Störungen verstärken. Die Umweltreize, die sonst vorhanden sind, die am Abend zur Schläfrigkeit beitragen, fallen weg. Zum anderen ist eine Einschränkung der Mobilität gegeben, es gibt also weniger ermüdende Tätigkeiten. Und wenn jemand auch noch Corona-positiv ist, kommen zusätzliche Fragen hinzu, wie: Werde ich krank? Wie schwer ist die Erkrankung für mich? Welche Konsequenzen hat sie? Es gibt also viele Faktoren, die zu einer Verschlechterung des Schlafens führen.
Klinik Kompass: Wenn man unter Schlafstörungen leidet, was kann man tun?
Prof. Dr. Peter Young: Dass wir in einer psychosozialen Belastungssituation schlecht schlafen, ist normal. Die Fokussierung auf einen Aspekt erzeugt in der Regel aber einen sich weiter bedingenden schlechten Schlaf. Deshalb sollte der Patient den Schlaf nicht erzwingen. Lieber eine halbe Stunde etwas anderes machen, etwas lesen oder spazieren gehen, als im Bett liegen zu bleiben. Es ist auch nicht zu empfehlen, am nächsten Abend früher zu Bett zu gehen, weil sich dadurch die Bettliegezeit im Wachzustand verlängert. Lange Bettliegezeiten im Wachzustand können dazu führen, dass eine Schlafstörung chronisch wird.
Klinik Kompass: In vielen Ratgebern über Schlafhygiene steht, dass man zwischen sieben und acht Stunden schlafen soll. Wie stehen Sie zu diesen Zahlen?
Prof. Dr. Peter Young: Wir – von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin – sind gar nicht so glücklich über diese vermeintliche Empfehlung. Aus folgendem Grund: Wir wissen, die Gesamtschlafdauer hat eine sehr starke genetische Komponente. Es ist schon so, dass das Gros der Menschheit zwischen sieben und acht Stunden Schlaf benötigt. Diesen Menschen kann man diese Stundenanzahl empfehlen. Es macht aber keinen Sinn, einem konstitutionellen Kurzschläfer zu sagen: Du musst jetzt sieben Stunden schlafen. Gleiches gilt für den Langschläfer, der 11 Stunden Schlaf braucht. Hier kann man nicht sagen, du brauchst aber nur sieben Stunden Schlaf. Deshalb empfehlen wir, dass jeder sich seines Schlafbedürfnisses bewusst wird und dieses auch ernst nimmt.
Klinik Kompass: Patienten mit Schlafstörungen können eine Nacht im Schlaflabor verbringen – also in einem Patientenzimmer einer Klinik, in dem die Schlafstörung elektronisch überwacht wird. Wie kommen Patienten ins Schlaflabor?
Prof. Dr. Peter Young: Im Idealfall besuchen Menschen, die nicht ein- oder durchschlafen können, zunächst den Hausarzt. Der Hausarzt schaut sich an, gibt es körperliche Befunde, die dazu führen, dass man schlecht schläft. Wenn er nichts findet, schickt der Hausarzt den Patienten idealerweise zu einem Schlafmediziner. Für die Patienten mit einer Schlafstörung ist das Schlaflabor gar nicht das Wichtigste, sondern der Experte, der sich auskennt mit der Anamnese und der Diagnostik von Ein- und Durchschlafstörungen. Das Schlaflabor ist nur dann sinnvoll, wenn der Schlafmediziner vermutet, dass der Patient eine andere, organisch Schlafstörung hat, zum Beispiel eine schlafbezogene Atmungsstörung oder eine Beinbewegung oder solche Dinge. Eigentlich brauchen nur 10 Prozent aller Insomnie-Patienten ein Schlaflabor.
Klinik Kompass: Wie ist die deutsche Schlafmedizin im internationalen Vergleich aufgestellt? Kommen Patienten aus dem Ausland in deutsche Schlaflabors, um sich behandeln zu lassen?
Prof. Dr. Peter Young: Wahrscheinlich weniger, wir sind ja ehrlich gesagt schon froh, wenn wir die Patienten hierzulande versorgt bekommen. Es gibt einen großen Bedarf, wir haben eine Unterversorgung in der Schlafmedizin. Innerhalb von Europa hat die deutsche Schlafmedizin ein sehr hohes Ansehen. Wir sind mit über 2.000 Mitgliedern die größte Fachgesellschaft für Schlafmedizin in Europa. Wir haben ein eigenes Qualitätssicherungsprogramm für unsere schlafmedizinische Diagnostik, denn die Gesellschaft für Schlafforschung zertifiziert Schlaflabore in Deutschland, wenn die Prozess- und Strukturqualität stimmt. Und: Wir sind in Europa Vorreiter, was die Ausbildung von Schlafmedizinern angeht.
Klinik Kompass: In welchen anderen Ländern ist die Schlafforschung ebenfalls ein wichtiges Thema?
Prof. Dr. Peter Young: In den USA ist die Schlafforschung weit entwickelt, Frankreich ist gut, Italien ist gut, in Australien ist das System auch gut aufgebaut. Allerdings ist unsere Form der Qualitätssicherung für Schlaflabore einzigartig in der Welt.
Prof. Dr. med. Peter Young leitet als Ärztlicher Direktor und Chefarzt die neurologische Abteilung der Klinik Medical Park Bad Feilnbach Reithofpark in der Nähe von München und ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM).