Verschiedene Grade der Degeneration von Spondylolisthesis
Ärzte unterteilen bei Spondylolisthesis verschiedene Ausprägungsgrade der Erkrankung; Bildquelle: Kushchayev, S.V., Glushko, T., Jarraya, M. et al. ABCs of the degenerative spine. Insights Imaging 9, 253–274 (2018). https://doi.org/10.1007/s13244-017-0584-z; Autorin: Irina Nefedova

Wirbelgleiten oder Spondylolisthesis wird jährlich über 10.000 Mal in Deutschland diagnostiziert. Doch wie kommt es zum Wirbelgleiten? Welche Therapiemöglichkeiten gibt es? Wann ist eine Operation erforderlich?

Ein Beitrag von Lukas Hoffmann

Die Wirbelsäule ist ein knöchernes Gerüst, das das Gewicht des Oberkörpers samt Kopf, Arme, Brustkorb und innere Organe auf die Beine überträgt. Damit der aufrechte Gang und Bewegungen möglich sind, ist die Wirbelsäule kein langer, gerader Knochenstab, sondern besitzt eine sogenannte Doppel-S-Form. Diese Form entsteht durch 33 Wirbelkörper und 23 Bandscheiben, die den Raum zwischen den einzelnen Wirbelkörpern vom Hals- bis zur Lendenwirbelsäule ausfüllen. So wird Reibung vermindert und eine Beweglichkeit der Wirbelkörper untereinander ist möglich. Damit die Wirbelsäule aber stabil genug ist, gibt es eine ganze Menge an Bändern und Rückenmuskeln, die die Wirbelkörper in ihrer anatomischen Position halten.

Bei der Spondylolisthesis, auch Wirbelgleiten genannt, verschieben sich die einzelnen Wirbelkörper gegeneinander. Damit ein Wirbelkörper überhaupt die Möglichkeit hat sich zu verschieben, muss sich zunächst ein Spalt in der sogenannten Interartikularportion bilden. Dabei handelt es sich um den Bereich zwischen den Gelenkfortsätzen, die zwei Wirbel miteinander verbinden. So ist die sonst ohnehin flexible Verbindung zwischen den Wirbelkörpern viel zu locker und kann weggleiten. Der Wirbel ist beweglicher und rutscht aus seiner vorgesehenen Position aus der Wirbelsäulenachse heraus. So entsteht eine Spondylolisthesis.

Wenn die Verschiebung nach vorne stattfindet, spricht man von einer Anterolisthesis. Bei einer Verschiebung nach hinten von einer Retrolisthesis.

Es gibt verschiedene Ursachen, die zum Wirbelgleiten führen. Eine angeborene Fehlbildung der Wirbelsäule, wie bei Skoliose oder Morbus Scheuermann, kann zur Entstehung einer Spondylolisthesis beitragen. Bei diesen Krankheiten weicht die Wirbelsäulenform von der anatomischen Norm ab, sodass die Belastung auf bestimmte Wirbelkörper zu groß ist. So kommt es zur Spaltbildung und anschließend zur Verschiebung.

Auch traumatische Unfälle, die zu einer schweren Verletzung der Wirbelsäule geführt haben, können zu der beschriebenen Spaltbildung und damit zum Wirbelgleiten führen.

Bei den meisten Patienten führen aber degenerative Ursachen zum Wirbelgleiten. Vor allem im Lendenwirbelbereich kommt es mit zunehmendem Alter zu Verschleißerscheinungen in der Wirbelsäule. Die Bandscheiben verlieren Flüssigkeit und damit ihre Elastizität. Das führt dazu, dass die Bandscheiben an Höhe verlieren und die Wirbelkörper näher beieinander stehen. Wenn dazu auch der Band- und Muskelapparat durch Bewegungsmangel und Übergewicht geschwächt ist, werden die Wirbelkörper noch instabiler. Die hohe Belastung auf die Wirbelkörper kann dann zum Gleiten führen.

Wie macht sich eine Spondylolisthesis bemerkbar?

Die Spaltbildung selbst, auch Spondylolyse genannt, läuft ohne Beschwerden ab. Das bedeutet, die Betroffenen verspüren keine Schmerzen oder Funktionseinschränkungen.

Doch bei der Hälfte der Personen, bei denen eine Spondylolyse entstanden sind, kommt es zur Spondylolisthesis, also zur Gleitbewegung des betroffenen Wirbels. Besonders gefährdet ist hierbei der fünfte und damit der letzte Lendenwirbelkörper. Er bildet den Übergang zum Os Sacrum, dem Kreuzbein. So leiden Betroffene an unspezifischen Kreuzschmerzen. Das Wirbelgleitet beschädigt zusätzlich die Zwischenwirbelscheibe. Diese degeneriert stark weiter und verliert zusätzlich an Höhe und Elastizität. Der fehlende Puffer zwischen den Wirbeln verstärkt das Wirbelgleiten wiederum.

Durch die verschobene Position der Wirbel kann es zu einer Einengung des Wirbelkanals kommen. Es entsteht eine sogenannten Spinalkanalstenose. Die gleitenden Wirbel drücken auf das Rückenmark. So können Schmerzen und neurologische Funktionseinschränkungen entstehen. Die Nervenäste, die von der Lendenwirbelsäule ausgehen, versorgen auch die Beine. Die Schmerzen, die durch die Stenose verursacht werden, strahlen in die Beine aus. Auch ein Kribbelgefühl oder Taubheit können auftreten. Da besonders der Wirbelkörper L5 betroffen ist, kann in schwerwiegenden Formen der Stenose, auch der Stuhlgang und der Harn nicht mehr kontrolliert werden (Inkontinenz). Das Sexualleben kann wegen erektiler Dysfunktion ebenfalls eingeschränkt sein.

Wie diagnostizieren Ärzte eine Spondylolisthesis?

Für die Diagnose fragen die untersuchenden Ärzte nach der Krankengeschichte. So erfahren sie von Risikofaktoren, familiären Veranlagungen, Vorerkrankungen und früheren Verletzungen, die die Entstehung einer Spondylolisthesis begünstigen.

Auf die Anamnese folgt die körperliche Inspektion. Die Ärzte schauen, ob von außen Auffälligkeiten wie eine Stufenbildung der Wirbelsäule oder ein Beckentiefstand erkennbar sind. Diese deuten auf Probleme in der Wirbelsäule hin.

Darüber hinaus führen Ärzte Funktionstests durch, um mögliche neurologische Ausfälle, die die Sensibilität, Motorik oder Reflexe betreffen, festzustellen. Nervenschädigungen können mithilfe einer Elektromyografie (EMG), die die Nervenleitgeschwindigkeit misst, diagnostiziert werden.

Besonders wichtig für die Diagnosestellung sind die bildgebenden Verfahren. Schon ein Röntgenbild in zwei Ebenen reicht aus, um die Verschiebung einzelner Wirbelkörper gegeneinander sicher diagnostizieren zu können. MRT- oder CT-Bilder können zusätzlich Auskunft über den Zustand der Weichteile darstellen. Dazu zählen Bandscheiben, Bänder und die umliegenden Muskeln. Außerdem zeigen beide Aufnahmen, ob und an welchen Stellen bereits eine Spinalkanalstenose und damit eine Kompression der Nerven vorliegt.

Zu den speziellen orthopädischen Untersuchungen zählen die 3D-Wirbelsäulenmessung und eine dynamische Bewegungs- und Ganganalyse. Mit einer Spezialkamera wird dabei millimetergenau die Lage und Form der Wirbelsäule gemessen. So können die Ärzte die Verschiebung genauestens bestimmen und entsprechende Therapiekonzepte entwickeln.

Wie weit eine Spondylolisthesis fortgeschritten ist, drücken die Mediziner mit der Klassifikation nach Meyerding aus. Dafür messen sie den Grad der Abweichung des betroffenen Wirbelkörpers zum darunterliegenden Wirbel. Die Behandlungen orientieren sich nach dem Schweregrad der Spondylolisthese. Bei Grad 1 nach Meyerding liegt die Verschiebung unter 25 Prozent. Bei einer Verschiebung von 20 bis 50 Prozent spricht man von Grad 2. Bei Grad 3 messen die Ärzte eine Verschiebung zwischen 50 und 75 Prozent. Bei einer Verschiebung über 75 Prozent spricht man von Grad 4. Wenn die Wirbel durch die Verschiebung keinen Kontakt mehr zueinander haben, liegt Grad 5 vor und damit eine Spondyloptose.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Bei den Therapiemöglichkeiten unterscheidet man zwischen konservativer Behandlung und Operation.

Konservative Therapie

Wenn die Ärzte eine Spondylolisthesis diagnostizieren, heißt das in den seltenen Fällen, dass operiert werden muss. Bei den meisten Patienten, schreitet sie nicht voran. Es ist also möglich, dass sie sich von alleine stabilisiert.

Die konservative Behandlung ist nicht-invasiv. Das bedeutet, sie versucht Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung durch nicht operative Methoden zu erreichen. Bei konsequenter Befolgung der nicht-invasiven Therapiemethoden kann man das Fortschreiten des Wirbelgleitens verhindern. Es ist erwiesen, dass eine dreimonatige, konservative Therapie, die intensiv befolgt wird, die Spondylolisthesis bessern und Beschwerden zurückgehen.

Bei der Diagnose einer Spondylolisthesis steht eine umfassende ärztliche Beratung im Vordergrund. Ärzten empfehlen Patienten mit einem erhöhten Body-Mass-Index (BMI) eine Bewegung und Ernährungsumstellung.

In der Physiotherapie steht die Stärkung der Rückenmuskulatur im Vordergrund. Starke Muskeln stabilisieren die Wirbelsäule und wirken dem Wirbelgleiten entgegen. Auch Übungen, die als Gleitwirbel-Übungen zusammengefasst werden, sollen die betroffenen Segmente stärken und das Gleiten aufhalten.

In der Behandlung lernen Patienten, wie die Wirbelsäule entlastet werden kann. Wenn die körperliche Belastung im privaten und beruflichen Umfeld gezielt verringern werden kann, stellt sich bei den meisten Betroffenen bereits eine deutliche Verbesserung ein. Auch wenn Sport nicht verboten ist, kommen nur Aktivitäten infrage, bei denen die Wirbelsäule geschont wird. Am besten ist es, sich hierbei vom behandelnden Arzt oder Physiotherapeuten beraten zu lassen. Zu den rückenschonende Sportarten zählen etwa Schwimmen, Radfahren, Yoga und viele andere.

Neben der Krankengymnastik stehen zur Schmerzreduktion verschiedene Medikamente zur Verfügung. Arzneimittel, die bei leichten Schmerzen empfohlen werden, sind beispielsweise Paracetamol oder Ibuprofen. Mittelstarken Schmerzen können mit leicht-opioiden Mittel behandelt werden und bei sehr starken Schmerzen kommen starke Opioiden zum Einsatz. Wenn Patienten längere Zeit auf die Einnahme von Schmerzmitteln angewiesen sind, verschreiben die Ärzte noch ein zusätzliches Medikament, das die Magenschleimhaut schützt. Denn Schmerzmittel verursachen bei langfristiger Einnahme eine gereizte Magenwand.

In schwerwiegenden Fällen wird auch eine schmerzstillende Injektion direkt an die betroffenen Wirbelsegmente eingesetzt. Bei der Schmerzmedikation verfolgen die Ärzte einen sogenannten multimodalen Ansatz, bei dem eine Kombination aus verschiedenen Therapieansätzen erarbeitet wird. So können Schmerzen, Entzündungen, Verspannung und degenerative Vorgänge verlangsamt werden.

Außerdem gibt es die sogenannte Elektrotherapie, die oft bei Spondylolisthesis angewendet wird. Die Stromflüsse vermindern den Schmerz, entspannen und aktivieren die Muskulatur über die auf die Haut gesetzten Elektroden.

Wenn die konservativen Therapiemethoden nicht weiterhelfen, kommt die Operation infrage.

Operative Therapie

Operative Verfahren, die bei der Behandlung einer Spondylolisthesis zum Einsatz kommen, nennt man Spondylodese. In der Operation stabilisiert der Chirurg die Wirbel in ihrer anatomischen Normposition, versteift sie und entlastet so die Nerven.

Der operative Eingriff kommt nur dann infrage, wenn die Schmerzen und Funktionseinschränkungen wegen der Spondylolisthesis sehr hoch ist. Eine OP wird auch dann durchgeführt, wenn neurologische Symptome, wie etwa Reflexausfälle, Sensibilitäts- oder Motorikstörungen auftreten. Für die Operation ist es wichtig, dass der Patient eher jung ist und nicht an Knochenerkrankungen wie Osteoporose leidet. Denn die Stabilisierung ist auch für die Biomechanik der gesamten Wirbelsäule und der richtigen Lastenverteilung wichtig. Die Operation sollte nur in Kliniken durchgeführt werden, die sich auf Wirbelsäulenchirurgie spezialisiert haben.

Die Stabilisierung der Wirbelsäule erfolgt durch eine minimalinvasive Operation. Das bedeutet, die Chirurgen operieren möglichst gewebeschonend mit kleinen Hautschnitten, sodass die anschließende Erholungszeit kürzer ist. Spezielle Schrauben und Verbindungsstangen stellen den zu versteifenden Wirbelsäulenabschnitt ruhig. Wenn die Gleitwirbel Nervenwurzeln eingeengt haben, müssen die Nerven zunächst freigelegt und entlastet werden (Dekompression).

Wenn die Bandscheiben zu sehr in Mitleidenschaft gezogen wurden, kann es sein, dass die Ärzte beschädigte Bandscheiben entfernen müssen. Der Arzt ersetzt diese durch sogenannte Cages (Käfige), die als Platzhalter fungieren. Zusätzlich bringen die Chirurgen körpereigenes oder künstliches Knochenmaterial ein, das das Zusammenwachsen der Wirbelkörper unterstützt.

Zu den Risiken einer solchen Operation zählen vor allem allgemeine Komplikationen wie Wundheilungsstörungen oder Nerven- und Gefäßverletzungen. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule kann anschließend in manchen Fällen reduziert sein, da es sich ja um eine Versteifungsoperation handelt.

Im Anschluss an die Operation folgt ein Aufenthalt in einer Rehaeinrichtung. Die wesentlichen Pfeiler der postoperativen Versorgung sind die krankengymnastische Nachbetreuung, das Tragen medizinischer Orthesen (Korsetts) und der Besuch einer Rückenschule.

Nach der operativen Versteifung bei Wirbelgleiten werden die Patienten vier bis sechs Wochen krankgeschrieben und dürfen nicht arbeiten. Abhängig von der beruflichen Tätigkeit kann die Arbeitsunfähigkeit aber auch länger bestehen. Bei der Wiederaufnahme des Berufs empfehlen die Ärzte unbedingt auf eine rückenschonende Arbeitsumgebung zu achten. Die Übungen zur Entlastung der Wirbelsäule sollten weiterhin zu Hause durchgeführt werden.

Quellen

Apothekenumschau. Spondylolisthesis (Wirbelgleiten). 2014. https://www.apotheken-umschau.de/krankheiten-symptome/gelenks-und-knochenerkrankungen/spondylolisthesis-wirbelgleiten-743857.html . Zuletzt abgerufen am 31.07.2022.

Bookhout MR. Evaluation and conservative management of spondylolisthesis. J Back Musculoskelet Rehabil. 1993 Jan 1;3(4):24-31. doi: 10.3233/BMR-1993-3406. PMID: 24573137. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24573137/. Zuletzt abgerufen am 31.07.2022.

Wollowick, Adam L.; Sarwahi, Vishal. Spondylolisthesis. Diagnosis, Non-Surgical Management, and Surgical Techniques. 2015.

 

 

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